Wenn der Bauch entscheidet oder Warum Populisten gewinnen

Veröffentlicht am 31. Juli 2025 um 20:15

Es beginnt mit einem Gefühl.

Ein Gefühl von Überforderung, von Kontrollverlust, von Unklarheit. Die Welt wirkt kompliziert. Zu schnell, zu viel, zu widersprüchlich. Wer denkt, bleibt im Zweifel. Wer fühlt, ist schneller.

Genau hier setzen Populisten an. Sie reduzieren Komplexität auf Schlagworte. Sie liefern keine Erklärungen, sondern Schuldige. Sie ersetzen Nachdenken durch Deuten und treffen damit direkt ins emotionale Zentrum.

  • „Die Flüchtlinge sind schuld.“
  • „Die da oben.“
  • „Früher war alles besser.“

Diese Sätze sind keine Analyse. Sie sind Erleichterung. Denn sie befreien von der Anstrengung, sich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Populismus ist ein kognitiver Kurzschluss und gerade deshalb so wirksam. Wer sich den Gedanken ersparen kann, braucht nur noch zu fühlen. Und wenn der Bauch sagt, es ist wahr, dann ist es eben wahr.

Vom Denken zum Fühlen – und zurück?

Die klassische Abfolge menschlicher Handlungsmotivation lautet: Denken → Fühlen → Handeln.

Wer denkt, entwickelt ein Urteil. Wer fühlt, bewertet die Situation. Und wer handelt, setzt daraus eine Konsequenz. Doch in populistischen Kommunikationsmustern kehrt sich diese Reihenfolge um:

  1. Die populistische Botschaft zielt direkt auf das Gefühl: Angst, Wut, Empörung.
  2. Das Denken wird übersprungen oder gleich mitgeliefert: als einfache Erklärung.
  3. Das Handeln erfolgt reflexhaft: Zustimmung, Ablehnung, Aktion.

Diese Verkürzung macht Populismus so effizient. Die Selbstermächtigung, das eigene Denken in Anspruch zu nehmen, wird durch ein scheinbares Gemeinschaftsgefühl ersetzt: „Endlich sagt es mal einer!“
Aber was genau wird da eigentlich gesagt? Und warum fühlt es sich so richtig an?

Wahrheit als Gefühl

In Zeiten sozialer Unsicherheit: wirtschaftlich, kulturell, identitär, gewinnen Narrative an Bedeutung, die Identität versprechen. Populistische Erzählungen bieten genau das: Orientierung, Klarheit, Zugehörigkeit. Der Preis dafür? Ausblendung von Differenzierung, Zweifel, Selbstverantwortung.

Das Gefühl nimmt die Stelle des Arguments ein. Wahrheit wird nicht mehr geprüft, sie wird gespürt. Das führt zu einer gefährlichen Logik: Wenn es sich richtig anfühlt, muss es stimmen.

Diese „Bauchwahrheit“ ist anschlussfähig, weil sie intuitiv ist. Sie appelliert an ein Weltbild, das viele ohnehin schon mit sich herumtragen. Oft diffus, manchmal unbewusst, aber latent bereit, aktiviert zu werden. Populisten liefern die Auslöser.

Der Mensch als Resonanzkörper

Populismus funktioniert deshalb so gut, weil er nicht auf Aufklärung zielt, sondern auf Wiedererkennung. Das Gegenüber soll sich verstanden fühlen, nicht gefordert. Es ist keine Einladung zum Diskurs, sondern zur Identifikation.

Daraus entsteht eine Form von „emotionaler Resonanzgemeinschaft“, die sich der rationalen Überprüfung entzieht.

Wer gegenhält, ist automatisch verdächtig: elitär, abgehoben, „einer von denen“.

Gerade in sozialen Medien verstärkt sich dieses Muster. Die Plattformen begünstigen polarisierende, emotionale Inhalte. Differenzierung kostet Reichweite. Wer also gehört werden will, muss nicht argumentieren, sondern affektieren.

Populismus als Komfortzone

Populismus ist attraktiv, weil er das Denken outsourct. Er bietet ein Paket: Meinung inklusive Erklärung, Schuldiger inklusive Lösung. Und wer einmal Teil des Systems geworden ist, hat wenig Interesse daran, es zu hinterfragen, denn das hieße, wieder selbst denken zu müssen.

Doch in dieser Komfortzone lauert eine gefährliche Trägheit. Wer das Denken verlernt, wird abhängig. Wer nur noch fühlt, wird manipulierbar. Und wer handelt, ohne zu hinterfragen, handelt selten im eigenen Interesse, sondern im Interesse derer, die das Denken für ihn übernommen haben.

Fazit

Populismus ist kein neues Phänomen. Aber er hat heute neue Resonanzräume. Die Kombination aus gesellschaftlicher Verunsicherung, medialer Überflutung und wachsender Komplexität macht ihn zur perfekten Projektionsfläche.

  • Wer nicht denken will, wird geführt.
  • Wer sich führen lässt, wird gelenkt.
  • Und wer gelenkt wird, handelt nicht mehr frei.

Deshalb ist die Rückbesinnung auf das eigene Denken kein intellektueller Luxus, sondern eine demokratische Notwendigkeit.

 

Quellen:

Arendt, Hannah. Vita activa oder Vom tätigen Leben. München: Piper, 2020. (Original: The Human Condition, 1958)

Platon. Der Staat. Übersetzt von Kurt Hildebrandt. Stuttgart: Reclam, 2007. (Original: Politeia, ca. 370 v. Chr.)

Kant, Immanuel. „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ In: Werke in sechs Bänden, Bd. VI, herausgegeben von Wilhelm Weischedel, 53–61. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1998.

Mudde, Cas. Populismus: Ein sehr kurzer Überblick. Übersetzt von Thorsten Schmidt. Berlin: Suhrkamp, 2019. (Original: Populism: A Very Short Introduction, 2017)

 

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