
„Der Gesellschaftsvertrag war nie geschlechtsneutral. Er war von Anfang an ein Vertrag unter Brüdern – über die Herrschaft über Frauen.“ (Carole Pateman)
Während Demokratie im politischen Diskurs oft als das 'gerechteste aller Systeme' gefeiert wird, richtet Carole Pateman den Blick auf einen blinden Fleck der politischen Philosophie: die systematische Auslassung weiblicher Subjektivität in den Gründungsgedanken der Moderne. In ihrem einflussreichen Werk 'The Sexual Contract' (1988) dekonstruiert sie die Mythen um Freiheit, Gleichheit und Vernunft – und zeigt, wie der klassische Gesellschaftsvertrag eine patriarchale Ordnung verschleiert, die bis heute fortwirkt.
Die Illusion des Gleichheitsversprechens
Die politischen Theorien von Hobbes, Locke oder Rousseau gelten als Fundament moderner Demokratien. Sie beschreiben den 'Urzustand' als eine hypothetische Vorform gesellschaftlicher Ordnung, in der die Menschen freiwillig einen Vertrag schließen, um in Frieden, Sicherheit und gegenseitiger Anerkennung zu leben. Doch wer waren diese Vertragspartner?
Pateman zeigt: Es waren Männer. Der Gesellschaftsvertrag war kein universeller Akt der Befreiung, sondern ein historisch-männlich konzipiertes Arrangement, das sich über die Einverleibung und Unterordnung von Frauen konstituierte. Während sich Männer gegenseitig als freie und gleiche Bürger anerkannten, wurde der 'sexuelle Vertrag' stillschweigend mitverhandelt – als Grundlage für Ehe, Reproduktion und geschlechtliche Arbeitsteilung.
So wird Freiheit für einige zur Voraussetzung der Unfreiheit anderer. Pateman kritisiert, dass die klassische Vertragstheorie zwar individuelle Autonomie beschwört, aber gleichzeitig eine gesellschaftliche Ordnung voraussetzt, in der Frauen (und oft auch andere 'Andere') strukturell ausgeschlossen sind.
Patriarchat ist nicht vor-, sondern mit-modern
Patemans Analyse sprengt die Vorstellung, dass das Patriarchat ein Relikt vorstaatlicher Gewalt sei, das durch moderne Rechtsstaatlichkeit überwunden wurde. Im Gegenteil: Der moderne Staat sei ohne patriarchale Grundlagen nicht denkbar. Die Ehe als private Institution, das Recht auf Eigentum an der Fruchtbarkeit weiblicher Körper, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung – all dies sind für Pateman keine Nebenprodukte, sondern 'konstitutive Elemente' des liberalen Gesellschaftsmodells.
Besonders deutlich wird das in Fragen reproduktiver Rechte, Care-Arbeit und politischer Repräsentation: Wo bleiben die Stimmen derer, deren Arbeit unbezahlt bleibt, deren Körper reguliert werden, deren Perspektiven in Parlamenten, Gerichten und Universitäten unterrepräsentiert sind?
In aktuellen Debatten um Mutterschaft, Elterngeld oder reproduktive Selbstbestimmung werden Patemans Thesen wieder brisant. Auch dort, wo formale Gleichheit längst gesetzlich verankert ist, zeigen sich informelle Machtverhältnisse – oft tief eingebettet in Sprache, Institutionen und vermeintlich neutrale Normen.
Partizipation ist mehr als Wahlrecht
Ein zweiter Schlüsseltext von Pateman ist 'Participation and Democratic Theory' (1970), in dem sie das liberale Verständnis von Demokratie radikal hinterfragt. Für Pateman reicht es nicht, Bürgerinnen und Bürger alle paar Jahre zur Urne zu rufen. Demokratie muss eine alltägliche Praxis sein – im Betrieb, in der Familie, im Bildungssystem.
Partizipation bedeutet mehr als Repräsentation: Sie verlangt reale Einflussnahme, Mitsprache und Selbstwirksamkeit. Erst durch tägliche Erfahrung politischer Teilhabe lernen Menschen, sich als gleichberechtigte Subjekte zu verstehen – und andere als solche anzuerkennen.
Hier trifft Pateman einen Nerv der Gegenwart: In Zeiten sinkender Wahlbeteiligung, wachsender Politikverdrossenheit und dem Erstarken autoritärer Bewegungen ist die Frage nach echter Partizipation zentral. Wer sich nie als Teil des 'gesellschaftlichen Vertrags' erlebt, wird ihn auch nicht verteidigen.
Vertrag und Zwang
Ein besonders brisanter Aspekt in Patemans Werk ist ihre Kritik an der Vorstellung des freiwilligen Vertrags überhaupt. Ob Ehe, Arbeitsverhältnis oder politische Mitgliedschaft – in all diesen Konstellationen suggeriert der Vertrag Gleichheit und Zustimmung, wo faktisch oft strukturelle Asymmetrien herrschen. Freiwilligkeit wird zur Fiktion, wenn ökonomischer oder sozialer Druck die 'freie Wahl' unterwandert.
Gerade im Zusammenhang mit neoliberalen Arbeitsmärkten, Leihmutterschaft oder Sexualverträgen im digitalen Raum zeigt sich, wie aktuell diese Kritik ist. Die Frage lautet: Wo beginnt die Zustimmung – und wo endet sie?
Pateman bleibt dabei nicht bei der Analyse stehen, sondern fordert eine neue politische Theorie, die reale Machtverhältnisse sichtbar macht – und nicht mit abstrakten Begriffen zudeckt. Eine Theorie, in der Verträge nicht als Gleichmacher, sondern als Aushandlungsräume von Ungleichheit verstanden werden.
Pateman, C. (1988). The Sexual Contract. Stanford University Press.
Pateman, C. (1970). Participation and Democratic Theory. Cambridge University Press.
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