Friedrich August von Hayek: Freiheit oder Freibrief? Ein Blick nach Argentinien

Veröffentlicht am 7. Mai 2025 um 15:40

„Freiheit bedeutet nicht, alles tun zu dürfen – sondern nicht gezwungen zu werden, das zu tun, was andere für richtig halten.“ (Friedrich August von Hayek)

Mit dem Wahlsieg des libertären Ökonomen Javier Milei in Argentinien ist eine jahrzehntealte Debatte neu entfacht: Was bedeutet Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft? Und wo verläuft die Grenze zwischen einem freiheitlichen Liberalismus und einem radikalen Libertarismus, der staatliche Ordnung fast vollständig zurückdrängt?

Ein Blick auf Friedrich August von Hayek, einen der einflussreichsten Liberalen des 20. Jahrhunderts, kann helfen, diese Unterscheidung zu schärfen – und gegenwärtige Entwicklungen besser einzuordnen.

Hayeks Verteidigung der spontanen Ordnung

Hayek war ein überzeugter Gegner zentraler Planwirtschaften – nicht aus ideologischer Engstirnigkeit, sondern aus erkenntnistheoretischer Überzeugung. In „Der Weg zur Knechtschaft“ (1944) argumentierte er, dass keine zentrale Instanz je über das nötige Wissen verfüge, um die komplexen Zusammenhänge einer Volkswirtschaft vollständig zu erfassen. Planung, so Hayek, führe zwangsläufig zu Zwang, selbst wenn sie gut gemeint sei.

Stattdessen plädierte er für eine „spontane Ordnung“: ein System, in dem freie Märkte, Rechtsstaatlichkeit und individuelle Verantwortung miteinander wirken. Für Hayek war der Markt nicht nur ein ökonomisches Instrument, sondern ein Mechanismus der gesellschaftlichen Selbststeuerung – ein evolutionärer Prozess, in dem sich Regeln bewähren oder verwerfen lassen, ohne von oben diktiert zu werden.

Liberal oder libertär?

Diese Position wird heute oft mit dem Libertarismus gleichgesetzt. Doch Hayek war kein Anarchokapitalist. Er erkannte die Notwendigkeit eines funktionierenden Rechtsrahmens, einer unabhängigen Justiz und eines minimalen staatlichen Ordnungsrahmens – gerade, um Freiheit zu sichern. Ohne Spielregeln, so Hayek, werde der Markt zur Bühne der Stärkeren, nicht der Freien.

Was wir in Argentinien derzeit beobachten, ist hingegen ein radikaler Bruch mit dieser Balance. Javier Milei, der sich selbst als „Anarchokapitalist“ bezeichnet, spricht von der Abschaffung der Zentralbank, stellt das öffentliche Gesundheits- und Bildungssystem infrage und predigt ein Marktverständnis, das auf extreme Deregulierung setzt. Die Folgen: wachsender sozialer Unmut, institutionelle Spannungen und ein zunehmendes Misstrauen gegenüber demokratischen Verfahren.

Hayek hätte vermutlich gewarnt: Freiheit kann nicht gedeihen, wo soziale Mindeststandards fehlen oder der Staat seine Grundfunktionen aufgibt. Ein System, das den Schwächeren keine Chancen bietet, gefährdet seine eigene Stabilität – und öffnet erneut den Weg zur „Knechtschaft“, diesmal durch ökonomische Ohnmacht.

Der schmale Grat der Ordnung

Hayek ging es nicht um einen schwachen Staat, sondern um einen klar begrenzten. Er unterschied deutlich zwischen einem rechtsstaatlich garantierten Rahmen und einer willkürlichen Steuerung von Ergebnissen. Er wollte Regeln, keine Resultate vorschreiben.

Dieser Unterschied ist zentral: Ein liberaler Staat schützt die Freiheit aller, ein libertärer Staat überlässt sie dem Spiel der Kräfte – oft zulasten derjenigen, die keine Marktmacht besitzen.

Gerade in fragilen Demokratien mit hohen sozialen Ungleichgewichten – wie Argentinien – wird aus dieser Theorie schnell politische Realität. Die Erosion öffentlicher Institutionen, die Diskreditierung demokratischer Spielregeln und der Rückzug des Staates aus sozialen Fragen gefährden nicht nur die Gerechtigkeit, sondern auch die Freiheit selbst.

Hayeks Lehre für heute

Hayeks Werk ist kein Freibrief für radikale Marktfundamentalisten. Es ist vielmehr ein Appell zur institutionellen Demut. Wer Freiheit erhalten will, muss Verantwortung mitdenken: für Institutionen, für Rahmenbedingungen und für soziale Kohäsion.

In einem Zeitalter, in dem wirtschaftliche Frustration und politische Polarisierung zunehmen, braucht es mehr denn je eine differenzierte Diskussion über das, was Freiheit wirklich bedeutet. Hayek liefert dafür die begriffliche Tiefe – wenn man ihn nicht auf ein libertäres Schlagwort reduziert.

 

Hayek, F. A. (1944). The Road to Serfdom. London: Routledge.

 

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